Kind mit wehenden Haaren

Zugluft – die gibt es nur in Deutschland?

Wenn in Deutschland zwei gegenüberliegende Fenster nicht verschlossen sind, dann weht eine Urangst ins traute Heim, deren Rufname Zugluft ist. Was nachgewiesenermaßener Unsinn ist, hält sich dennoch hartnäckig in den Köpfen der „German Angst“ Anhänger. Und derer gibt es viele.

Nur der Zug reicht nicht, um sich zu erkälten. Ist aber zum Beispiel die Immun­abwehr bereits herab­gesetzt und jemand verkühlt sich im Durch­zug, kann es zu einer Erkältung kommen – voraus­gesetzt, es ist ein Virus vorhanden. 

Martin F. J. Bauer, Fach­arzt für Allgemeinmedizin

Und hier liegt „Der Hase im Pfeffer begraben“ denn die bloße Zugluft verursacht keine Erkältung. Wobei das Wort Erkältung hier auch irreführend und in sich unschlüssig ist, denn wir werden nicht durch Kälte krank. Maßgebliche Voraussetzung hierfür ist eben immer eine Vorbelastung durch ein geschwächtes Immunsystem, das uns ohnehin zum Arzt gehen lassen sollte und ein Virus. Der weht aber nicht in die U Bahn rein sondern wird von Fahrgästen mitgebracht. Ein offenes Fenster ist also genauso unschuldig wie ein Auto, das in ein anderes fährt.

„Mach das Fenster zu, die promaja wird mich noch umbringen“Zugegeben, die Promaja (Zugluft) lässt nicht auf eine deutsche Herkunft des Wortes schließen. Der aus dem Balkan stammende Begriff hat dem Anschein nach Einzug in die unsere Gefilde gehalten und sich im Laufe der Zeit als Zugluft, und damit als Geißel der Menscheit, etabliert.

Seit über 70 Jahren ein mythologischer Begleiter

Dieser Mythos veranlasste dann auch den britischen Virologen Christopher Howard Andrewes Ende der 1940er Jahre dazu dem Ganzen auf den Grund zu gehen. Seine Probanden mussten zunächst in warmem Wasser baden und sich dann – lediglich mit Unterwäsche bekleidet – in einen zugigen Flur begeben um dort eine halbe Stunde zu verharren. Einige erkrankten – die meisten aber nicht. Erstere doch nur deshalb, weil sie zuvor von den Studienleitern mit Viren infiziert wurden. Der Mythos der „promaja“ lebt aber weiter.

Als Kind bin ich mit nassen Haaren im Winter zur Schule gegangen und fand es faszinierend wie schnell Haare gefrieren können. Man konnte so schön dran rumdrücken. Es knirschte. Später war das Verdeck von meinem Jeep immer offen. Auch heute liebe ich es wenn ich im heißen Sommer alle Fenster meines Autos öffnen kann. In über einem halben Jahrhundert bin ich noch nie deshalb krank geworden. Die skandinavischen Länder machen es uns vor.

Die Mutter meiner Tochter ist der „Promaja“ vollends verfallen. Trotz der wunderbaren Vorzüge in einer Wohnung mit gegenüberliegenden Fenstern zu wohnen, hält sie nichts davon ab, auch bei gemessenen 39 Grad Außentemperatur, die selbe Temperatur im Inneren zu ertragen. Nun könnte man sie fragen wo der Unterschied zu dem Wind draußen liege. Sei es beim Spazierengehen oder (Gott bewahre) beim Fahrradfahren. Ich stellte die Frage und archivierte die Antwort dann auch gleich zu den großen ungelösten Rätseln der Menschheit: „Der Wind draußen ist ein anderer Wind“.

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